BOB MARLEY & THE WAILERS | 13. Juni 1980 | Westfalenhalle
Es waren legendäre Konzerte in Dortmund. Auch, wenn es zum Teil sehr lange her ist, sind die Erinnerungen noch wach, als hätten die Musiker gestern erst in der Westfalenmetropole gerockt. TONGEBIET möchte an diese Sternstunden in der Serie „History“ erinnern. Heute: Bob Marley & The Wailers am 13. Juni 1980 in der Westfalenhalle.
Freitag, der 13. im Juni 1980, war sicherlich kein Unglückstag, auch wenn in Angola südafrikanische Truppen ein Lager der SWAPO angegriffen hat und 200 Kämpfer töteten. In Venedig beschließen die Regierungschefs der EU, dass Vertreter der PLO an den Friedensgesprächen im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern teilnehmen sollen. Bei der Fußball EM in Italien war spielfrei. Im Juni des Jahres 1980 war es laut Wetteraufzeichnungen etwas zu kalt. In Dortmund war es an diesem Tag aber sehr heiß. Strahlender Sonnenschein. In der großen Westfalenhalle sollte es noch heißer werden und das Kondenswasser von der Decke tropfen. Und ich durfte mein bis heute bestes Westfalenhallen-Konzert erleben.
Seit ich mir im Sommer 1974 in Brighton Eric Claptons Single „I Shot The Sheriff“ für 50 Pence gekauft hatte, war mir Marley ein Begriff. So richtig gepackt hat es mich, als ich – es muss 1977 gewesen sein - an einem Sonntagvormittag in der ARD eine Aufzeichnung des legendären 75er Konzerts aus dem Londoner Lyceum sah. Jenem Konzert, von dem auch die Live-LP veröffentlicht wurde. Bis heute eine der besten Live-Platten, ever! Ich jedenfalls saß gebannt vor der Kiste, wie an jedem zweiten Sonntag, weil dann dort wenigstens etwas Jugendkultur im TV lief - irgendwann wurde dort auch „Rock‘n‘Roll Highschool“ mit den Ramones gezeigt - während Mutter Meyer in der Küche nebenan den Sonntagsbraten vorbereitete. Doch anstatt aus der Küche rüber zu rufen: „Uwe, mach endlich leiser!“, geschah ein kleines Wunder.
Kurz nachdem Tyrone Downie auf der Hammond B3 das Intro zu „No Woman, No Cry“ anstimmte, kam meine Mutter in die gute Stube, setzte sich andächtig aufs Sofa, um mich zu fragen, wer das sei und mir zu meiner Verblüffung 15 Mark schenken wollte, wenn ich mir die Platte kaufen würde, was ich natürlich dankend annahm. Mutter Meyer jedenfalls bekommt auch heute noch, auf die 80 zugehend, feuchte Augen, wenn sie den Song hört. Drei Jahre später war es dann so weit. Marley in der Westfalenhalle, endlich! Halle 1, restlos ausverkauft, was damals noch 18 bis 20 000 Zuschauer bedeutete. Voller geht‘s nicht. Die 30° Außentemperatur stiegen in der Halle auf gefühlte 45° und die Luft ließ sich, auch wegen der Unmengen gerauchter Tüten, förmlich schneiden. Man war, ohne selbst zu paffen, high.
Bob Marley tänzelte langsam auf die Bühne
Das Licht geht aus die Backing-Sängerinnen „The I Threes“, mit Marleys Frau Rita, Judy Mowatt und Marcia Griffith, heizen mit einigen Nummern vor. Die Halle saugt den Reggae-Riddim auf und bebt ab, als Aston „Family Man“ Barrett Marley ankündigt, während Bob langsam auf die Bühne tänzelt. Sieht man mal von Bob Dylan und Miles Davis ab, habe ich nie wieder jemand mit solch einer magischen Aura gesehen. Die Anwesenheit allein reicht aus, um die Leute in den Bann zu ziehen. Die Band eröffnet mit „Natural Mystic“, dann „Rastaman Vibration“, „Revelation“ und „I Shot The Sheriff“. Später gab es natürlich noch „No Woman, No Cry“, „Exodus“. Dann im ersten Zugabenblock der bewegende, gerade erst auf der LP „Uprising“ erschienenen „Redemption Song“, „Could You Be Loved“ (ein Song, den ich bis heute nicht so recht mag), „Is This Love“ und „Get Up Stand Up“.
Im zweiten Zugabenblock gab es „Coming In From The Cold“ und „Lively Up Yourself“. Nach zwei Stunden ist die Show vorbei und obwohl ich mir noch einige andere Favorites gewünscht hatte, war mir bewusst, ein legendäres Konzert gesehen zu haben, selbst ohne das Wissen, dass es einer der letzten Marley-Auftritte gewesen sein sollte. Die inzwischen von dem Konzert veröffentlichte DVD gibt leider nicht ansatzweise das wieder, was im Publikum los war, zeigt aber die entfesselt aufspielende Band. Was mir gut in Erinnerung geblieben ist, dass der zweite Zugabenblock eigentlich nicht vorgesehen war und das Hallenlicht schon lange eingeschaltet war, Musik vom Band lief und die Roadcrew anfing abzubauen. Doch das Publikum gab sich nicht zufrieden, feierte und forderte Marley.
Es mögen vielleicht zehn Minuten gewesen sein, ohne dass einer die Halle verließ. Die magische Atmosphäre hätte ihn wieder auf die Bühne gezogen, hieß es später. Einen Tag zuvor spielte Carlos Santana mit seiner Band in der Westfalenhalle. Auch dieses Konzert wurde vom Rockpalast aufgezeichnet. Da die Wailers schon in Dortmund waren, stiegen einige Mitglieder für eine Session bei Santana ein. Schade, dass Santana sich am Tag darauf nicht revanchieren konnte. Drei Monate nach dem Dortmund-Gig spielte der 39-jährige Marley dann in Pittsburgh. Eine Package-Tour mit „The Commodores“ sollte ihm dort in den Staaten zum Durchbruch verhelfen. Nach dem Konzert ging der Rastamann zum Arzt. Es wurde Hautkrebs und Metastasen in Leber, Lunge und Gehirn festgestellt.
Eine Spezialklinik am Tegernsee war seine letzte Hoffnung
Die Ärzte gaben ihm nur noch wenige Wochen. Eine Spezialklink am bayrischen Tegernsee sollte seine letzte Hoffnung sein, doch Anfang Mai gab Marley den Kampf auf. Er wollte zum Sterben in seine Heimat Jamaika. Bei einer Zwischenlandung in Florida starb er am 11. Mai 1981. Vier Tage nach Bobs Tod gab Bob Marleys Freund Stevie Wonder ein Konzert in der Westfalenhalle. Es war ebenfalls ein phänomenaler Auftritt, den Stevie Wonder seinem Freund widmete.
Doch Marleys Auftritt blieb unerreicht. Mein bestes Konzert in den Westfalenhallen. Eines, um das ich von Jüngeren so beneidet werde, wie ich manch Älteren darum beneide, Jimi Hendrix gesehen zu haben. Ein Spätgeborener hat mir erzählt, wie sein Onkel auf jedem Familienfesten mit stolzgeschwellter Brust von dem Konzert in der Westfalenhalle erzählt. Den Youngster nervt das, weil er irgendwo auch neidisch sei, gibt er zu. Ich denk dann nur: Früher haben die Onkels auf Familienfeiern vom Krieg erzählt!
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